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Enzensbergers Medientheorie der 70er-Jahre. Und Jay Rosen zu Blogger vs. Journis.

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Ich habe gerade wieder Enzensbergers Medientheorie Baukasten zu einer Theorie der Medien (pdf) von 1970 gelesen. Enzensberger analysiert den Umgang mit Medien aus sozialistischer Perspektive und von Brechts Radiotheorie her – und formuliert einige Erkenntnisse, die auch heute noch höchst lesenwert sind:

Die neuen Medien sind ihrer Struktur nach egalitär. Durch einen einfachen Schaltvorgang kann jeder an ihnen teilnehmen; die Programme selbst sind immateriell und beliebig reproduzierbar. Damit stehen die elektronischen im Gegensatz zu älteren Medien wie dem Buch oder der Tafelmalerei, deren exklusiver Klassencharakter offensichtlich ist. […]

Die neuen Medien sind aktions- und nicht kontemplativ, augenblicks- und nicht traditionell orientiert. Ihr Zeitverhältnis ist dem der bürgerlichen Kultur, die Besitz will, also Dauer, am liebsten Ewigkeit, völlig konträr. Die Medien stellen keine Objekte her, die sich horten und versteigern ließen. Sie lösen »geistiges Eigentum« schlechthin auf und liquidieren das »Erbe«, das heißt, die klassenspezifische Weitergabe des immateriellen Kapitals. […]

Denn die Aussicht darauf, daß mit Hilfe der Medien in Zukunft jeder zum Produzenten werden kann, bliebe unpolitisch und borniert, sofern diese Produktion auf individuelle Bastelei hinausliefe. Die Arbeit an den Medien ist als individuelle immer nur insofern möglich, als sie gesellschaftlich und damit auch ästhetisch irrelevant bleibt. Die Diapositiv-Serie von der letzten Urlaubsreise kann hierfür als Muster gelten. Eben darauf haben es selbstverständlich die vorherrschenden Marktmechanismen abgesehen.

Blickt man von dieser Theorie aus auf Blogs, so können sie als eine Einlösung der Möglichkeiten betrachtet werden, die Enzensberger anspricht: Es handelt sich um aktionsorientierte, egalitäre Medienformen (man schaue sich z.B. an, wie Russland versucht, Blogger unter Druck zu setzen und gerade diese egalitäre Funktion zu unterdrücken).

Dennoch sind Blogs dem Vorwurf ausgesetzt, »unpolitisch und borniert« das Resultat von »individuelle[r] Bastelei« zu sein. Das ist – um diese Debatte noch einmal aufzugreifen, auch Teil der Abgrenzung der Journalisten »Bobby California« gegenüber »den Bloggern«: Journalisten arbeiteten in einem Kollektiv und für das Kollektiv – während Blogger alleine und nur für sich arbeiteten.

Meine Haltung ist die: Blogger und Journalisten tun nicht dasselbe. Blogger brauchen Journalisten – und umgekehrt. Der erste Teil leuchtet eher, weil weniger Blogger intensive Recherchen betreiben können und so oft Beiträge aus traditionellen Medien in ihre Posts einbeziehen. Aber der zweite Teil ist gleich wahr: Gerade in einer Zeit der Medienkonzentration und der direkten wirtschaftlichen Beeinflussung von Medieninhalten schaffen Blogs einen Raum, der eine größere Meinungs- und Themenvielfalt ermöglicht. (Damit ist nicht gesagt, dass alle Bloggenden diese Meinungs- und Themenvielfalt pflegen – genau so wenig wie damit gesagt ist, dass Journalisten generell intensiv recherchieren. Es gibt weder »die Journis« noch »die Blogger« – aber das dürfte klar sein.)

Jay Rosen geht in einem Vorlesungsmanuskript weiter: Er bezeichnet Blogger und Journalisten als jeweils »each other’s ideal “other”«:

Spitting at bloggers is closely related to gazing at your own reflection, and falling in love with it all over again. […] Ask bloggers why they blog and they might say: because big media sucks! But they will almost never say: I AM YOUR REPLACEMENT. This fantasy of replacement comes almost exclusively from the journalist’s side, typically connected to fears for a lost business model. […]

By raging at newspaper editors, bloggers manage to keep themselves on the “outside” of a system they are in fact a part of. Meaning: It’s one Internet, folks. The news system now incorporates the people formerly known as the audience. Twitter and Facebook are hugely powerful as distributors of news.

Rosen nennt fünf Aspekte genannt, welche die traditionellen Medien in Stress versetzen:

  1. Anzeigeneinbruch und wirtschaftliche Schwierigkeiten
  2. Monopolverlust des Printjournalismus aufgrund des Internets
  3. auch die Leser produzieren Texte und werden »mächtig«
  4. Information bewegt sich nicht nur vom Produzenten zum Konsumenten, sondern auch vom Konsumenten zum Konsumenten
  5. Autoritäts- und Vertrauensverlust der Printmedien.

Rosen schließt anschließend wie folgt:

For people in the press, bloggers vs. journalists is an elaborate way of staying the same, of refusing to change, while permitting into the picture some of the stressful changes I have mentioned. A shorter way to say this is: it’s fucking neurotic.

(Damit will ich mich mit dieser Debatte nicht länger aufhalten, es sei denn, »Bobby California« oder andere möchten meinen Post kommentieren. Dann hätte ich noch eine Frage: Was erwartest du als ideales Resultat dieser Diskussion von mir, Bobby? – Um die Frage von meiner Seite gleich zu beantworten: Ich würde mir erhoffen, dass du Einsicht formulieren kannst, dass eine pauschale Herabminderung aller Blogger und aller Blogs weder angemessen noch produktiv ist – genau so wenig wie es produktiv wäre, alle Journalisten in den gleichen Topf zu werfen. Und ich würde mir auch erhoffen, einmal einen, drei oder neun deiner offenbar hervorragenden, mühevoll erstellten Texte lesen zu können, die dir schlaflose Nächte bereiten. Aber vielleicht habe ich das schon, ohne es zu wissen.)



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